50 Jahre CANAL STREET JAZZ BAND
Kaum glaublich, dass die CANAL STREET JAZZ BAND schon so alt sein soll!
Als Michael Wulff, der spiritus rector - in geistigen Getränken und verzwickten Jazzphrasen gleichermaßen erfahren - 1962 die CANAL STREET JAZZ BAND gründete, zusammen mit dem Klarinettisten Klaus Nockemann und dem Posaunisten Gregor Majer, dürfte ihn kaum der Gedanke gestreift haben, dass diese Band über fünfzig Jahre später immer noch seine begnadeten Arrangements von „Battle Ship Kate“, „Razzazza Mazzazza“ oder „So this is Venice“ mit derselben Andacht und dem unverschämt-vergnügten Engagement spielen würde wie damals in der Gründerphase.
„Michi“, wie er in Jazzerkreisen nur hieß, hatte sein musikalisches Handwerk in der Jailhouse Taverne als zweiter Kornettist bei Abbi Hübner gelernt und brannte damals darauf, seine eigenen Vorstellungen von Musik umzusetzen. Was dabei herauskam, war so ungewöhnlich und gleichzeitig verwirrend, dass alle übrigen Hamburger Jazzer zunächst geschockt reagierten. Hier wagte es ein körperlich eher schmächtiger Trompeter, ein Tabu zu brechen und alle Hamburger Jazz-Puristen glatt vor den Kopf zu stoßen, indem er ein unglaublich lautes, ungebärdiges Horn zum Klingen brachte, das nicht nach Louis Armstrong oder King Oliver klang, sondern eher an Buddy Bolden erinnerte, den legendären Kornettisten aus New Orleans, der allabendlich unvergleichliche Melodien so laut in den Himmel blies, dass er bis in den letzten Winkel der Hafenstadt gehört wurde.
Michi wollte nicht wie die anderen Bands damals die sakrosankten Stücke von Armstrongs Hot Five und Hot Seven nachspielen und auch nicht den frühen King Oliver kopieren. Ihm schwebte vor, die ganze Bandbreite der amerikanischen Musikszene der Südstaaten von ca. 1895 bis 1925 zu berücksichtigen und für die Menschen der 70-er Jahre einen Klang wieder aufleben zu lassen, der gut 60 Jahre lang verhallt war.
Zu diesem Zweck hatte er Verbindungen nach Amerika aufgenommen, alte Schellack-Platten und Tonbänder gesammelt, z. T. Wachswalzen kopiert, und so einen Grundstock an Melodien und Arrangements gewonnen, den er mit großer Intensität und viel Liebe für seine neue Band bearbeitete. Jetzt erklangen plötzlich rau, aber herzlich „The Armbreaker“, „Crooning“, „Crazy Quilt“ und ähnliche in Hamburg völlig unbekannte Stücke.
Mit einer Chuzpe ohnegleichen wurden die wohlbekannten Jazzgattungen gesprengt oder verschmitzt übertreten: Melodien jeglicher Herkunft wie Ragtime-Themen, Marschmusik, schnelle, mittelschnelle und langsame Jazzstücke unterschiedlicher Stilrichtungen, Blues-Themen, Beerdigungsmusik, Schlager und französische Volkslieder aus dem amerikanischen Süden bildeten das Repertoire und vertrugen sich offensichtlich mühelos miteinander. Sehr zum Vergnügen der Bandmitglieder, die sich von Michis kreativer Unruhe anstecken ließen und den spezifischen Stil der Kapelle individuell ausfüllten und ihm ein unverwechselbares Gepräge gaben. So wurde er geboren: der ungestüme, unverwechselbare, emotionale CANAL STREET – Sound, den die Musiker bis heute bei ihren Auftritten zelebrieren und eine treue Fangemeinde damit faszinieren.
Michi Wulff, durchaus zufrieden mit seiner Leistung, wandte sich dann nach ca. 5 Jahren mit Nachdruck einem neuen Aufgabengebiet zu. Er studierte Germanistik in Hamburg und anschließend in Salzburg, entdeckte seine Liebe zu politischer Lyrik, promovierte über "Konkrete Poesie" und versenkte sein Kornett für immer.
Der Klarinettist Klaus Nockemann, der nach Michis Abgang die Leitung der Band übernahm, hielt sich eng an die Vorgaben und setzte seine ganze Autorität ein, um nicht den einmaligen Stil verwässern zu lassen. Immer wieder traten neue Bandmitglieder auf mit neuen Ideen, neuen Stücken und „Verbesserungsvorschlägen“. Klaus ließ sich nicht verwirren. Ruhig und bestimmt setzte er klare Signale und verwaltete Michis Erbe auf vorbildliche Weise.
Der Erfolg gab ihm Recht. Kein Sommerball der Universität Hamburg, keine Jazzband-Battle im Audi Max, kein Amateur-Wettstreit in der Musikhalle in den 60-er und 70-er Jahren war denkbar ohne die CANAL STREET JAZZ BAND mit ihrem leicht kreolisch getönten Zusammenklang der Bläser, die so viel Freude und Energie verströmten, dass man jedes Mal glaubte, dies sei nicht mehr zu überbieten. Nummern, wie „Portuguese Rag“, „Seite 110“ oder „Excelsior“, die eigentlich einen Dirigenten verlangten, um die Tempoänderungen und musikalischen Sprünge zu veranlassen, sind seit dieser Zeit aus der Hamburger Jazzszene nicht mehr wegzudenken.
In ihrem Domizil, der „Seglerbörse“ in Neumühlen, gegenüber dem alten Kühlhaus, spielte die Band fast 15 Jahre lang Freitag für Freitag. Das war schon „Kult“, obwohl es den Begriff damals noch nicht gab. Ein Besucher sagte einmal treuherzig: „Und wenn ich am Montag dann in die Firma komme, dann zähle ich an den Fingern ab: eins, zwei, drei, vier, fünf Tage, dann bin ich wieder bei der CANAL STREET in der Seglerbörse“.
Onkel Ernie und Tante Ida, zwei Originale hinter dem Tresen, - von der Band durch das gefühlvolle Stück „Ida and Ernie“ verewigt - hielten jahrelang die Fahne hoch und versorgten vorn die Segler, hinten die Band und die Gäste mit ausreichend Bier und guter Laune. Neue Wirte kamen und gingen wieder. Das einzig Konstante blieb: die CANAL STREET JAZZ BAND am Freitagabend. Die langhaarige schwarze Christiane am Klavier wurde abgelöst von der blonden Rita und diese wiederum durch etliche männliche Nachfolger. Ähnlich bei den anderen Instrumenten: Es gibt beispielsweise wohl kaum einen Hamburg Banjo- oder Tubaspieler von Rang, der nicht für längere oder kürzere Zeit Mitglied der CANAL STREET BAND war. Insgesamt haben über vierzig Musiker diese „Schule für Jazz und Jazz-Verwandtes“ durchlaufen.
Jetzt haben wir das Jahr 2014 und immer noch spielt die CANAL STREET JAZZ BAND ihre alten Stücke. Prost! Auf die nächsten 50 Jahre!!!